Projekttage an der Beruflichen Schule: Gruppe “Hauptwohnsitz Straße”
Wie es derzeit mit der Flüchtlingsproblematik in Deutschland aussieht ist uns allen bekannt. Nirgendwo kommt man an diesem Thema vorbei. In den Medien Zeitung, Fernsehen und Rundfunk aber auch in Gesprächen in der Familie und mit Freunden oder in der Schule. Sicherlich beschäftigt die Flüchtlingspolitik jeden von uns, positiv oder negativ – das sei einmal dahin gestellt. Jedoch: was ist mit den Obdachlosen, die es bei uns in Deutschlands gibt? Wird dieses Thema in den Hintergrund gedrängt durch all die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen? Wie geht es den Menschen auf der Straße? Wo können sie Hilfe finden, wenn sie denn bereit sind welche anzunehmen? Bekommen sie Geld und wie bestreiten sie Ihren Lebensunterhalt?
Genau diesen Fragen wollten wir uns in den drei Tagen der Projektarbeit stellen.
Am ersten Tag hatten wir das große Glück, zwei lokal ansässige soziale Einrichtungen zu einem Vortrag zu gewinnen. Als Erstes stellte sich das Wohnprojekt „Luise“ vor. Dort können Obdachlose, die nicht mehr auf der Straße leben möchten, Hilfe finden. Sie bekommen ein eigenes Zimmer und sozial-pädagogische Unterstützung, um ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Es geht hier nicht um die Unterkunft für eine Nacht. Die Hilfesuchenden gehen sozusagen einen Vertrag ein, die Hilfe, die sie benötigen, über eine längerfristige Zeit in Anspruch zu nehmen. Als Zweites stellte sie die „Haltestelle“ vor. In dieser ambulanten Hilfe haben Obdachlose die Möglichkeit, sich zu duschen und ihre Wäsche zu waschen. Es steht ihnen zu den Öffnungszeiten Personal zur Verfügung, das den Obdachlosen weitere Hilfeformen anbietet, z.B. auf rechtliche Fragen Antworten zu finden. Weiterhin besteht die Möglichkeit, für ALG 2-Empfänger oder Menschen mit niedrigem Einkommen, sich in der „Haltestelle“ Hilfe, Informationen und Beratung zu holen.
Am zweiten Tag besuchte eine Gruppe von Projektteilnehmern die bekannte und oft gewürdigte Arztpraxis für Obdachlose am Berliner Ostbahnhof. Diese durften wir anschauen und Fragen stellen. In einem sehr unscheinbaren Gebäude, welches für uns von außen wie Leerstand aussah, befand sich die Praxis. Ein kleiner schmaler Eingang führte ein paar Stufen hoch in die Räumlichkeiten. In der Praxis war alles ziemlich eng, zumindest für unsere Verhältnisse. Lediglich der Raum in dem die Obdachlosen etwas essen konnten, war größer. Diesem schloss sich eine kleine Küche an. Wir erfuhren, dass es Personal gibt, das für Obdachlose Essen zubereitetet. Etwas weiter, einen kleinen schmalen Gang entlang, befanden sich auf der linken Seite die zahnärztliche Versorgung und dahinter die Allgemeinmedizin. Diese durften wir uns anschauen. Es sah aus, wie in einer ganz normalen Arztpraxis. Begrüßt wurde man durch eine nette Krankenschwester, die auch gleich am Empfang alle Formalitäten erledigt. Vom Empfangsbereich gehen zwei Behandlungszimmer ab. Wir konnten mit einem Arzt vor Ort sprechen. Er berichtete uns, dass es im Prinzip ganz normale Erkrankungen sind, die er behandeln muss: Erkältung, Grippe und im Fall der Obdachlosen auch viele Hautekzeme. Der Arzt führt in der Praxis auch kleinere Operationen durch, die in örtlicher Betäubung durchgeführt werden können. Die Medikamente vor Ort sind alles Spenden. Für schlimmere Erkrankungen oder Verletzungen werden die Patienten an ein Krankenhaus verwiesen. Aber auch dort wird nur die Notfallbehandlung durchgeführt, zur Nachsorge trifft man die Patienten dann wieder in der Obdachlosenpraxis an. Das rührt daher, dass Menschen ohne Wohnsitz und Arbeit in der Regel keine Krankenversicherung haben. Ebenso haben die Obdachlosen, die die Praxis besuchen, die Möglichkeit sich dort zu waschen und neu einzukleiden. Nur eine Tür weiter befindet sich eine Kleiderkammer. Dieses ist bis oben hin gefüllt mit Kleidung. Leider gibt es dort nicht die Möglichkeit, die Kleidung auch mal zu waschen. Aus diesem Grund gibt es dann neue, wenn aus Spenden die alten Sachen gar nicht mehr tauglich beziehungsweise stark verschmutzt sind.
Die Arztpraxis wird von Obdachlosen mit gesundheitlichen Problemen in Anspruch genommen. Üblicherweise suchen viele Obdachlose in Berlin, die in Not sind, die dortigen Bahnhofsmissionen auf. Auch wir entschieden uns, drei dieser Stellen am Ostbahnhof, am Bahnhof Zoo und am Hauptbahnhof aufzusuchen. Dort konnten wir unsere Fragen stellen. Auszugsweise hier einige Antworten, die wir erhalten haben:
„In Deutschland muss kein Mensch auf der Straße leben, denn es gibt genug Einrichtungen für solche Menschen.“
„Viele Obdachlose haben Suchtprobleme und schlafen deshalb auf der Straße, weil sie in den meisten Einrichtungen keine Drogen konsumieren dürfen.“
„Hauptgründe für die Obdachlosigkeit sind Suchtprobleme, persönliche Krisen wie Verluste des Partners oder des Arbeitsplatzes und psychische Krankheiten, die dafür sorgen, dass die betreffenden Menschen ihren Alltag nicht mehr meistern können.“
„Der Staat trägt viel Verantwortung, aber noch nicht genug,um Obdachlose in der Gesellschaft zu schützen und sie aus dem Kreislauf des Dilemmas herauszuholen.“
„Die Flüchtlingssituation hat nicht viel an der Situation der Obdachlosigkeit verändert.“
Bei Umfragen am Alexanderplatz wollten die meisten der Befragten sich nicht zum Thema Obdachlosigkeit äußern.
Zwei letzte Ergebnisse sollen noch ausgeführt werden: Die Muttis aus der Sozi 14/2, die nicht mit nach Berlin konnten, haben an diesem Tag fleißig in der “Haltestelle” geholfen. Und die Mädel aus der Klasse Sozialassistenten 15 haben Obdachlosen unter einer Brücke eine warme Decke geschenkt. Beim Handkuss als Dankeschön fühlten sie sich allerdings doch etwas unwohl.
Am dritten Tag wurden die Erfahrungen ausgetauscht und eine Wandzeitung erstellt. Gelernt haben wir Einiges auch in der Bewertung der Obdachlosigkeit. Manche Sichtweise für soziales Handeln wurde überlegt. Die Projekttage waren eine sinnvolle Ergänzung unserer theoretischen Ausbildung an der Schule für das Leben.
Melanie Heu/ Dr. Anna-Maria Möhring